Sind die Fahrer von hochkarätigen Luxusautos & Sportwagen Psychopathen?

Es ist noch gar nicht lange her, da galt es als bewunderns- und erstrebenswert und als Beleg des persönlichen Erfolges, einen leistungsstarken und gut ausgestatteten Wagen zu fahren. Mit dem Besitz eines edlen und rassigen Automobils dokumentierte man jedoch nicht nur seinen monetären Status, sondern auch ein spezifisches Lebensgefühl, das von den meisten Mitmenschen (abgesehen von Neidern und notorischen Weltverbesserern) mit Anerkennung goutiert wurde. Um solche Fahrer scharte sich oft und gerne eine Traube interessierter Zeitgenossen, die diesem Ziel selbst vielleicht noch nicht so nahe gekommen waren, sich aber wenigstens auf dem Weg dorthin wähnten. An der Tankstelle wurden die Eigner solcher Exoten meistens gefragt: „Wie stark?“, „Wie schnell?“, „Wie teuer?“ In den Augen der Neugierigen züngelte dabei ein deutlich sichtbares Flämmchen der Leidenschaft.


Nun - die Zeiten haben sich geändert! Sehr geändert! Und das ausgerechnet jetzt, wo ich günstig an einen Wagen gekommen bin, der all diese erstrebenswerten Eigenschaften in sich vereint. Mit großem Vergnügen pilotiere ich nun mein Juwel täglich mit sanftem V8-Gebrabbel ins Büro und wieder nach Hause. Zu meinem Erstaunen formieren sich jedoch nirgendwo Menschentrauben mit neugierigen Fragen nach Leistung und Fahrgefühl, keine ungläubigen Blicke - gefolgt von dem sehnsuchtsvollen Wunsch, einmal mitfahren zu dürfen. Stattdessen heften sich eher düstere Minen an mein Ego, die zuallererst den Kraftstoffverbrauch ermitteln zu müssen glauben und den Ausstoß an Treibhausgasen, um sich sogleich kopfschüttelnd einem anderen Thema zuzuwenden.


Wird die Freude am Fahren wirklich nur noch an diesen Parametern gemessen? Oder hat am Ende gar niemand mehr Spaß am Autofahren? Die zu beobachtende Fahrweise auf unseren Straßen, lässt dies fast befürchten. Warum fragt mich denn niemand, wie sich so ein kompressorbefeuerter Achtzylinder fährt? Wie sich Tempi zwischen 250 und 300 km/h anfühlen, wie spielerisch damit Überholmanöver zu bewerkstelligen sind, wie sich eine Achtkolbenbremse auf die Magengrube auswirkt, ob die Sitzklimatisierung wirklich das Wohlbefinden hebt und ob die Lenkradschaltung der SpeedShift-Automatik tatsächlich ein wenig Formelsportfeeling hervorruft? (Tut sie übrigens nicht!) Warum kriegen die keine Gänsehaut, wenn die Monstermaschine beim Start in der Tiefgarage aus vier armdicken Auspuffrohren losprustet und gehen genauso achtlos vorbei, wie am Diesel-Astra des Kollegen, der gerade aus der Parkbox nagelt? Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen allein solch ein Auftritt abendfüllende Stammtischgespräche initiiert hätte, im Verlauf derer kein einziger Teilnehmer Zweifel daran hätte aufkommen lassen, dass ein gehöriger Anteil Benzin auch in seinen Adern zirkuliert. Doch der Begriff „Benzin“ ist schon fast zum exotischen Fremdwort geworden, so ähnlich, wie „Petroleum“, oder „Karbid“. Was ist das für eine Substanz, die sich einige „ewig Gestrige“ da noch in den Tank schütten? Stattdessen riecht es überall nach öligem Diesel. An jeder Tankstelle hat man es an den Schuhsohlen. Zwar werden nach wie vor hübsche, ansehnliche Autos gebaut und auch gekauft, aber niemanden scheint es zu stören, dass diese nicht mit einem Motor, sondern mit einem nagelnden, ratternden Dieseltriebling ausgestattet sind, von denen nicht wenige gewaltige Rußwolken ausstoßen, welche die fragwürdige Ästhetik des Antriebsgeräusches passend dekorieren. Unsummen werden in Neuwagen solch zwiespältiger Bauart investiert, wo doch ein rassiger, gebrauchter Sechs- oder Achtzylinder mit verschwenderischer Ausstattung für einen Bruchteil seines einstigen Neupreises und für die Hälfte des politisch korrekten Biedermeier-Neuwagens zu haben wäre. Den Fahrspaß gibt es zwar nicht ganz gratis dazu, doch dauert es Jahre, bis die erhöhten Unterhaltskosten den Kredit für den Neudiesel kompensieren, dessen Arbeitsgeräusch früher oder später zwangsläufig in die Depression führen muss.


Die Reaktion der sozialen Umgebung signalisiert es mir unverblümt und eindeutig: Ich muss verrückt geworden sein, so ein Auto zu fahren! Dabei gäbe es doch so tolle, sparsame und vernünftige Alternativen, die bereits längst mit vielen Extras ausgestattet sind, die vor kurzem noch selten und sehr teuer waren. Doch da kommen wir zum Punkt: Wir erinnern uns? ABS: 2.500,- DM extra! Airbags: 2.000,- DM extra! Klimaautomatik: 4.500,- DM extra! Navigationsgerät: 6.700,- DM extra! Autotelefonanlage mit Freisprecheinrichtung: 23.000,- DM extra! Die damaligen Besteller solcher luxuriösen Optionen mussten überaus solvent und extravagant genug sein, um sich derartige Erleichterungen solche Unsummen kosten zu lassen. Denn: Wo wurden diese HighTech-Gimmicks installiert? Etwa in einen VW Golf, in einen Opel Kadett, oder in einen Ford Escort? Nein! Wer so etwas wollte, musste schon S-Klasse fahren, oder Porsche! In der Kompakt- oder Mittelklasse, waren solche Innovationen nicht finanzierbar. Erst durch Investitionen in der Upperclass wurden die Grundsteine für eine Massenverbreitung neuer Techniken gelegt. Elektronisch geregelte Einspritzanlagen, kennfeldgesteuerte Zündungen, variable Ventilsteuerungen und elektronische Wegfahrsperren waren für die erste Zeit nur einigen finanzstarken Technikfetischisten vorbehalten, die aber als Schrittmacher der heutigen Technik fungierten.


Die Luxusklasse der Autowelt wird heute in den Medien und in der öffentlichen Meinung leichtfertig und vorschnell als Weltuntergangsbeschleuniger gegeißelt und als völlig unnütz apostrophiert. Sie gilt als Symbol einer verschwendungssüchtigen Kultur und sollte nach Meinung einiger Apostel der bevorstehenden Apokalypse am besten eingestampft und durch gleichförmige vernünftige Massenprodukte ersetzt werden. Doch wie in aller Welt sollen teure Neuentwicklungen und umweltfreundliche Innovationen den Weg in eine preiswerte Massenverfügbarkeit finden, wenn nicht über genau jene verteufelten Luxusprodukte, für die einige wenige Idealisten bereit sind, überproportional viel Geld auszugeben, um zu den Ersten zu gehören, bei denen die Moderne eingezogen ist? Wenn die Freude und Leidenschaft an hochkarätiger Kraftfahrzeugtechnik erstirbt, weil sie gesellschaftlich geächtet wird, wie derzeit das Rauchen, sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Vor allem auch deswegen, weil die Massenhersteller ihre Gewinne nicht in erster Linie mit ihren Massenprodukten erwirtschaften, sondern mit den exotischen Highend-Optionen, die das dicke Geld in die Kasse spülen, was heutzutage gerne übersehen wird. Würde Mercedes-Benz nur A-, B- und C-Klasse-Modelle verkaufen, wäre es wohl bald vorbei mit dem Stern und mit seinem Glanz. Denn der legendäre Nimbus der Spitzenmodelle ist es doch, der auch auf die Massenmobile abstrahlt und dem Konsumenten das Gefühl gibt, etwas Besonderes, etwas Hochwertiges zu erwerben, auch wenn es auch Millionen andere besitzen. Und was uns Menschen betrifft: Wie trist und traurig ist denn die Perspektive, jede Begeisterung und Emotion für ein exquisites Stück Technik, das mit heißblütigen Lebensäußerungen sein ungestümes Potenzial verkündet, zu opfern auf dem Altar der vermeintlichen Vernunft und kühlen Kalkulation, um im mehrspurigen Gleichschritt in eine Zukunft zu gehen, deren automobile Segnungen zwar im Grade unterschiedlich, aber in der Art ganz ähnlich zur Ära „Trabant“ gesehen werden kann?


Ich werde deshalb wohl weiter zur Fraktion der progressiv Konservativen gehören, die Spieltrieb und Emotion der Tristesse einer kühlen, abgeklärten Technokratie vorzieht und später sagen kann: Ich habe es noch erlebt, dass das Wesen einer Maschine mein Blut in Wallung gebracht hat, weil es von Technikern mit Herz nicht nur zur zweckmäßigen Fortbewegung sondern auch für diesen Zweck konstruiert, ja komponiert wurde.