Vom guten Ton

Nein…, nicht über „gute Kinderstube“ und „artiges Benehmen“ möchte ich heute referieren. Vielmehr möchte ich einmal ein Thema anklingen lassen, das mich sehr intensiv beschäftigt, seit ich das Wort „Auto“ aussprechen kann: „Geilen, Ehrfurcht gebietenden Motorsound“.


Der „brave und sittlich gefestigte Bürger“ hat den undifferenzierten Begriff „Kraftfahrzeuglärm“ längst in seinen „Almanach der Reizwörter“ eingemeißelt (in unmittelbarer Nähe von „Klimaerwärmung“ und „Kindesmissbrauch“). Das, was im Allgemeinen als modulierte Schallwellen um ein handelsübliches Automobil herumwabert, gilt schlechthin seit Jahren als eine der „Geißeln der Menschheit“ und wird gerne pauschal mit unschönen Attributen kommentiert. Irgendetwas scheint da mit meiner musikalischen Früherziehung gründlich schiefgegangen zu sein, denn ich kann solcher Schwarzmalerei nicht generell folgen. Allenfalls, solange es sich um nagelnde und nölende Unterzahlzylinder-Diesel- und Ottomotoren mit eindeutigen Symptomen der Mangelernährung handelt, wie sie zuhauf von genau jenen „braven und sittlich gefestigten Bürgern“ betrieben werden, die um keinen Preis der Welt irgendwo anecken wollen. Das Rattern eines solchen Trieblings kann gar nicht so leise sein, dass es sich nicht als schmerzhafte Beleidigung der Sinne in meine Gehörgänge hinein fräst.


Völlig anders verhält es sich jedoch aus meiner Sicht, wenn ein rassiger Vielzylinder „aufgeigt“, dessen Lebensäusserungen Ausdruck einer glasklar definierten Aufgabe sind: Nämlich, seinen Treiber mit einem Maximum an Lust und Kultur voranzubringen. (In einigen Fällen kann freilich auch ein beherzt auftretendes „Quartett“ oder sogar ein „Trio“ Beachtliches hervorbringen.) Da drängt sich dann die philosophische Frage auf: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Ich meine: Wer den Monumentalsound eines Maserati, Lamborghini, Aston Martin und die Trompeten von Jericho ..., äh ..., Maranello (und nicht zu vergessen: Mercedes AMG ;-)) einfach nur wegwerfend als „Lärm“ abtut, der setzt doch auch die mit transzendentaler Inbrunst auf hunderten von Pfeifen georgelte „Toccata und Fuge in d-Moll“ von Johann Sebastian Bach ohne mit der Wimper zu zucken auf eine Stufe mit den jaulenden Erstversuchen eines triefnasigen Blockflötenzöglings.


Wo bitte bleibt da der Kunstsachverstand, um den ingeniösen Meisterwerken der Automobil- und Triebwerksbaukunst Tribut zu zollen, die in uns Kennern wonnige Schauer erzeugen? Wer alles, was Schallwellen erzeugt, einfach über einen Kamm scheren will und andererseits aber heuchlerisch und dunkelgewandet in Kammerkonzerte rennt, nur um gesehen und gesellschaftlich akzeptiert zu werden, der sollte lieber auf dem Kamm blasen und Ravioli aus der Dose futtern, anstatt echten Gourmets den Platz an den guten Tischen der Sternerestaurants der Wohlklangmenüs wegzunehmen. Wirklich musikalische Triebwerke sind ja im Alltag nun wahrlich selten genug anzutreffen. Da sollte man solchen Begegnungen den nötigen Respekt zollen und beim angesetzten „Forte fortissimo-“ in demütiger Ehrfurcht seinen Hut ziehen, auf jeden Fall aber statt dem Zeigefinger, seinen Daumen nach oben recken, damit der ausführende Musikant ein entsprechendes Feedback und den Lohn seiner guten Tat entgegennehmen kann. Der Applaus ist schließlich „das Brot des Künstlers“! Wenngleich jener in diesem Fall in Wahrheit als der Schöpfer des Instrumentes zu sehen ist, so ist doch ein Interpret erforderlich, der als ausführende (und kostentragende) Schnittstelle zum Genius der Motorenentwickler den Beifall der Passanten in bare Münze umwandelt und in Form eines exorbitanten Kaufpreises die Instrumentenbauer zu weiteren inspirierten Großtaten anregt.


Mit anderen Worten: Liebe Anwohner, Verkehrsteilnehmer und Passanten, bitte spart nicht mit Anerkennung und Beifallsbekundungen, wenn Euch wieder einmal ein wahrhaft hochkarätiges Automobil mit überschäumendem motorischem Temperament vor die Linse und vor allem vor die Lauscher gerät. Ihr habt dann eine Freikarte für eine konzertante Darbietung erster Güte erhalten, die Ihr nicht mit despektierlicher Gleichgültigkeit und schon gar nicht mit vermeintlich berechtigter Empörung quittieren solltet. Man outet sich sonst womöglich als Kretin par excellence, oder einfach als Neidhammel. Der Feingeist hingegen schweigt und genießt, und schickt sich alsbald an, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten ähnlichen Tuns zu befleißigen. Aller Anfang ist schwer, aber es gibt auch auf dem Gebrauchtmarkt schon sehr schöne und klangvolle „Instrumente“. Und keine Angst: Gute Musik wird niemals Last, selbst wenn sie durch Lastwechsel erzeugt wird, und sie wird sicherlich auch nicht zum derben Spiel der ungebildeten Massen.


Sollte sich Euer persönliches soziales Umfeld jedoch als allzu spröde und unmusikalisch herausstellen, betont einfach den Standpunkt der Sicherheit, welcher in diesem unserem Lande alle anderen Argumente locker mit einem Handstreich hinfort zu wischen imstande ist. Scheut Euch nicht, auch hierfür mal Anglizismen zu Hilfe zu nehmen und kontert ernst und entschlossen: „Loud pipes save lives!“ Wer bitte will Euch dann noch mangelnde soziale Verantwortung unterstellen? ;)